Unfassbar, dass schon wieder alles vorbei sein soll. Drei Tage in einem Paralleluniversum aus einem chaotischen Zelt, Dixiklos und Musik, einem Paralleluniversum mit der besten improvisierten Stereoanlage der Welt (man lege Kopfhörer in eine Plastikschale, die als Verstärker dient), mit Calzone, einem bescheuerten Strohhut und schnarchenden Zeltnachbarn. Unfassbar viele Zigaretten, okayer Kaffee, schmerzende Füße und tolle Bands, das ist Festival. Und gerade weil ich mich gerade wie verrückt über frische Klamotten, meine Badewanne und den PC freue, kann ich geradezu beobachten, wie sich meine Erinnerungen verflüchtigen. Die Seifenblasen bei Washington kommen mir wie ein Traum vor, ich möchte allen davon erzählen, wohl wissend, dass meine Erzählungen niemanden interessieren. Manch einer hat gar vergessen, dass ich weg war, auch wenn ich wochenlang mit meiner Vorfreude genervt habe. Und doch: Ich bin der festen Überzeugung, dass ich das Wochenende auf dem besten Festival überhaupt verbracht habe.
Die Bands:
Gods of Blitz aus Berlin rockten auf der Bühne herum, vergaßen zwischen den Songs nie, ihren Bandnamen anzusagen, den ich deshalb wohl nie wieder vergessen werde. Und das war auch das Auffälligste an den Herren.
Washington hingegen das erste große Highlight des Wochenendes; eine Band, die ich schon oft live gesehen habe und hoffentlich auch noch oft sehen werde. Endlich einmal, ich werde nicht müde, das zu erwähnen, durften sie ihre wundervollen Lieder vor einem angemessen großen und begeisterten Publikum spielen, die Seifenblasen bei "Have You Ever", das war ganz großes Gänsehaut-Kino, ein Traum.
Tenfold Loadstar kannte ich vorher noch nicht, aber überraschend gute Mädchenband mit hübscher Violine, angenehmer Stimme und netten Melodien, die möchte ich gern im Hinterkopf behalten.
Black Rust schliefen teilweise in den Zelten neben uns, schnarchten laut und gaben auch sonst interessante nächtliche Körpergeräusche von sich. Leider nicht ganz gehört, weil das Bedürfnis nach Dosenravioli und Wasser größer war, aber eigentlich hat mir das gefallen.
Kristofer Ragnstam war klasse, sehr sympathische Band
mit einem unglaublich engagierten Keyboarder, der anscheinend sehr viel Spaß auf der Bühne hatte, den hatte ich vor ebendieser genauso.
Namensvetter
Kristofer Aström hat eine wunderschöne Stimme, der ich wirklich stundenlang zuhören könnte, immer ein bisschen am Rande des Zerbrechens und dann wird er wieder von den Gitarren aufgefangen. Allerdings leide ich unter einem merkwürdigen Syndrom: Sobald Kristofer Aström zu singen beginnt, werde ich unglaublich müde und kann mich nur gewaltsam wachhalten. Das erschwert mein Vergnügen.
Unfassbar großartig waren
The Miserable Rich mit Rotwein, Violine, Cello und Kontrabass auf der Bühne, mit wunderschönen Popsongs und mit einer Stimme, die mich bei den ersten Liedern bereits komplett aus der Fassung brachte, unkontrollierte Schauer jagten über meinen Körper und ich musste alles aufwenden, um nicht heulend auf der Wiese zusammenzubrechen. Traumschön. Wunderbar, schrecklich indiskret sofort den Weg in mein Herz gebohrt, ich möchte sie nie wieder dort herauslassen.
Maria Taylor wurde mit Vorfreude erwartet und sie singt ja auch ganz schöne Sachen, die Gute, aber den Weg ins Herz konnte sie nicht finden.
I Am Kloot will ich seit 2003 live sehen und unsere Wege haben sich endlich gekreuzt und was soll ich sagen, eine derart großartige Band kann einfach nur großartige Lieder über
drinking and disaster spielen.
Baskery zeigten mir im Anschluss meine musikalischen Grenzen auf. I'm not mad enough for country music. Ich hatte mir zwar vorgenommen, Motzereien über Sachen, die mir nicht gefallen haben (wie auch Marissa Nadler) zu unterlassen, aber dieses "Wir sind so freche Landmädchen"-Ding ist so schrecklich, das kann man nicht unerwähnt lassen!
Und das musikalische Übererlebnis, Feuerwerk, Freudentaumel, Gefühlschaos:
Get Well Soon. Was in der heimischen Musikanlage sehr gut klingt, verwandelt sich live in etwas, das man mit Worten nicht beschreiben kann, das ist so viel von allem, so viel Musik, dass man es kaum aushalten kann, die Musik pustet dich weg und zieht dich mit magischer Stimme sofort wieder an, alles explodiert und die Bäume hängen voller Tonbandfetzen und Fetzen meines Herzens, das ich den jungen Menschen auf der Bühne entgegenwerfen möchte, das so toll, ich möchte diese Band noch mindestens 100 Mal live sehen.
Und sonst?
Bei Kik gibt es tolle Hello Kitty-Sachen und Taschenlampen zu kaufen, ich murmele im Schlaf meinen Namen, wenn Ellen so weitermacht, kann sie in einem Jahr ihr Zimmer mit Setlists tapezieren, dank Lenas Autogrammjagd haben jetzt ganz viele berühmte und tolle Menschen meinen Kugelschreiber in der Hand gehabt, Kinder spielen gern mal in Müllcontainern und ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viel raucht wie Pete Jobson von I Am Kloot. Toll war's, trotz all der Anstrengungen, doofer Zugfahrten, Gemeinschaftsduschen, ekelhafter Toiletten, Sonnenbrand und leerem Portemonnaie. Großartig, fantastisch. Ich freu mich jetzt schon aufs nächste Jahr.
Ja,
Lena und
Ellen wollten auch gern mal im Müllcontainer spielen. Nein, ich habe keine Lust mehr, alle Bands zu verlinken. Vielleicht mache ich das mal, wenn ich ausgeschlafen bin. Und ja, meine Handykamera macht fürchterliche Bilder und es ist sowieso fürchterlich, mit dem Handy Fotos zu schießen. Aber wenn ich mir nicht diese unscharfen Farbflecken anschaue, glaube ich irgendwann wirklich nicht mehr, dass ich dieses wunderbare Wochenende erlebt habe.
bedsitter - 1. Jun, 18:12